Angst kennt jeder

Angst kennt wohl jeder. Und: Angst ist ein natürliches Gefühl. Es ist zugegeben ein unangenehmes Gefühl, verbunden mit körperlichen Reaktionen, wie Herzrasen, Schwitzen oder Zittern. Es taucht dann auf, wenn wir uns in einer Situation befinden, die neu und ungewohnt ist oder die wir als gefährlich oder unkontrollierbar einschätzen - kurz: wenn wir uns in irgendeiner Weise bedroht fühlen.

 

In manchen Büchern oder Abhandlungen bezeichnen die AutorInnen diese an sich natürliche Gefühlsregung auch als Furcht. Angst ist für sie noch stärker als Furcht und neigt schon dazu, übersteigert zu sein. Für mich sind die Begriffe Angst und Furcht lediglich Synonyme für ein und denselben Zustand. Daher benutze ich den Begriff Angst. 

 

Angst gehört zu unseren Urgefühlen wie Freude, Wut oder Traurigkeit und ist so alt wie die Menschheit. Aus biologischer Sicht hat Angst - wie alle anderen Gefühle auch - eine wichtige Funktion: Sie soll uns vor Gefahren schützen und unser Überleben sichern. Angst schärft unsere Sinne und aktiviert unseren Körper, damit wir in gefährlichen Situationen angemessen reagieren können: fight or flight (kämpfen oder fliehen).

 

Nehmen wir zum Beispiel einen Höhlenmenschen, der plötzlich einem Säbelzahntiger gegenüberstand. Außer, dass der Höhlenmensch noch nicht sehr clever war, hatte er gar keine Zeit umständlich zu überlegen, was nun zu tun war. Er musste sich blitzschnell entscheiden: Kämpfen, fliehen oder - auch das wäre eine Option - sich tot stellen. Und ohne dass er bewusst eine Entscheidung gefällt hätte, wurde sein Körper durch die Angstreaktion bereits auf das Handeln vorbereitet: Sein Herz schlägt schneller, sein Blutdruck steigt, seine Atmung beschleunigt sich, seine Muskeln werden stärker durchblutet und seine Muskelspannung erhöht sich. Er ist bereit für Kampf oder Flucht. Ist die Angstreaktion so stark, dass sie den Höhlenmenschen lähmt und er erstarrt, weil vielleicht Kampf oder Flucht aussichtslos sind, hat er immer noch die Chance, auf diese Weise vom Säbelzahntiger übersehen zu werden oder ihn zu täuschen: Der Säbelzahntiger zieht schließlich ab, weil er den Höhlenmensch für einen Baumstamm hält...

 

Die Zeiten, in denen wir uns vor einem Säbelzahntiger in Sicherheit bringen müssen, sind lange vorbei. Die Herausforderungen, denen wir heutzutage gegenüberstehen, sind andere. Aber ein gewisses Maß an Angst ist immer noch vorteilhaft: Die Angstreaktion ist dafür verantwortlich, dass wir in brenzligen Situationen, zum Beispiel beim Fahrrad- oder Autofahren, schnell und konzentriert handeln können. Sie lässt uns vorsichtiger werden und erhöht unser Reaktionsvermögen. Und immer dann, wenn wir in Schule, Beruf oder beim Sport Leistung abrufen wollen oder müssen, lässt uns die Angst wachsamer, konzentrierter und zielgerichteter handeln. Wir sind mental und körperlich kurzzeitig leistungsfähiger. 

 

Ähnlich wie der Schmerz ist auch die Angst ein Warn- und Alarmsignal, das uns nicht nur auf Bedrohungen von Außen, sondern auch auf Störungen von Innen (innere Konflikte) aufmerksam macht. 

 

Angst hat also eigentlich eine Schutzfunktion: Nur, wenn wir die Gefahr als solche (er)kennen, können wir handeln und sie bewältigen. Hätte unser Höhlenmensch zum Beispiel keine Angst vor dem Säbelzahntiger gehabt, wäre er ihm vermutlich direkt vors Maul gelaufen.

 

So natürlich Angst auch ist: Überschreitet sie ein angemessenes Maß, kann die Angst unsere Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und uns einschränken. In solchen Fällen hilft sie uns nicht, konzentrierter und gezielter zu handeln, sondern belastet uns - je nach Ausprägung unterschiedlich stark. Manche Betroffenen empfinden sie eher als lästiges Übel, andere leiden extrem unter ihrer Angststörung. Mehr als 15 Prozent - also ca. jeder sechste - der Erwachsenen in Deutschland leiden unter einer Angststörung. Innerhalb der Gruppe der psychischen Erkrankungen nimmt die Angststörung damit den ersten Platz ein, gefolgt von der Depression.

 

Um die Erkrankung der Angststörung zu verstehen, ist es hilfreich, sich die Entstehung der Reaktion "Angst" biologisch genauer anzusehen, die Ursachen zu unterscheiden und sich mit den verschiedenen Formen der Angst zu befassen.

Angst wird zur Krankheit, wenn sie

  • unangemessen stark oder anhaltend ist
  • ohne ausreichenden bzw. nachvollziehbaren Grund auftritt
  • nicht mehr kontrolliert oder ausgehalten werden kann
  • die Lebensqualität und Leistung beeinträchtigt
  • Leid verursacht, und zwar sowohl für den Betroffenen als auch für sein näheres und weiteres Umfeld
    (Quelle: Gesprächs-Art Praxishandbuch, Volker Faust, Joachim Sandner, S. 125)
 

Symptome und Folgen

körperliche Symptome:

Angstanfälle, besonders Panikattacken, gehen mit einer Reihe körperlicher Symptome einher:

  • Herzklopfen, beschleunigter Puls, Herzrasen, Herzstolpern
  • Schwitzen, Zittern
  • Atemnot oder Erstickungsgefühl, Schmerzen oder Beklemmungen in der Brust
  • Schwindel, Benommenheit
  • Hitzewallung oder Kälteschauer
  • Taubheit oder Kribbeln
  • Muskelverspannungen oder Muskelschwäche (weiche Knie)
  • allgemeines Schwächegefühl
  • unklare Oberbauchbeschwerden (vor allem bei der generalisierten Angststörung)

Psychische Symptome:

Bei sehr starken Angstanfällen können zusätzliche Symptome auftreten:

 

  • Gefühl der Unwirklichkeit (Derealisation)
  • Depersonalisation (man steht neben sich)
  • Angst, die Kontrolle zu verlieren
  • Angst, verrückt zu werden
  • Angst, zu sterben

soziale und gesundheitliche Folgen:

Diese entstehen durch Vermeidungs-verhalten und Versuche, die Angst-gefühle zu kontrollieren. Sie entwickeln sich über einen längeren Zeitraum:

  • Unfähigkeit, bestimmte Dinge alleine zu tun
  • soziale Isolation
  • Berufsunfähigkeit
  • starke Abhängigkeit von Bezugspersonen
  • Depression
  • Substanzmissbrauch (wie Alkohol; Beruhigunsmittel)