Heute ist ein besonderer Tag! Heute beginnt der Einstieg in den Ausstieg aus der medikamentösen Therapie meiner Angststörung. Und das ist ein großer Erfolg für mich!
Seit ungefähr 10 oder 11 Jahren - ich kann es gar nicht mehr so genau sagen - nehme ich Antidepressiva: Als ich Duloxetin zum ersten Mal verordnet bekam, litt ich unter einem sehr schmerzhaften Reizdarmsyndrom. Nichts half gegen die Schmerzen. Mein damaliger Hausarzt und der Gastroenterologe wussten sich keinen anderen Rat, als mir letztendlich die niedrigste Dosierung Duloxetin (30 mg) zu verordnen. Dieses Antidepressivum hebt nicht nur die Stimmung und fördert den Antrieb, es wirkt auch bei Schmerzsyndromen wie Polyneuropathien. Polyneuropathien sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems, bei denen mehrer Nerven betroffen sind und schmerzen. Und tatsächlich besserten sich auch die Schmerzen in meinem Darm.
Als ich 2010 unter meinem ersten Erschöpfungssyndrom litt, wurde die Dosis Duloxetin von meiner damaligen Psychiaterin auf 60 mg erhöht. Nach etwa zwei Jahren folgte ein ungeplanter "kalter Entzug": Meine Ärztin hatte die Praxis gewechselt und ihr Nachfolger hatte über 5 Monate keinen Termin für mich. Ein Rezept gab es aber nicht, bevor er mich nicht in Augenschein genommen hatte. Wäre ich zu dem Zeitpunkt in einer schlechten Phase gewesen, wäre dies einer Katastrophe gleich gekommen. Unvorstellbar... Mir ging es glücklicherweise zu der Zeit recht gut und ein Urlaub stand an, so dass ich mir überhaupt keine Gedenken über das Absetzen des Medikamentes machte. Ich hatte Glück: Keine Symptome durch den plötzlichen Entzug und das Medikament schien ich tatsächlich nicht mehr zu brauchen.
2014 zeichnete sich das zweite Erschöpfungssyndrom bei mir ab. Vorsorglich verschrieb mir der Arzt wieder Duloxetin und erhob den Verdacht, dass ich wohl eher an einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) als an Erschöpfung und Panikattacken leiden würde. Wie er darauf kam? Keine Ahnung. Vielleicht weil er auf ADHS spezialisiert war. Ernsthaft diagnostiziert hat er diesen Verdacht jedenfalls nicht. Ich nahm seine Theorie aber ernst und stresste mich in der Folge noch mehr. Wie auch immer...
2015 verbrachte ich wegen des zweiten Erschöpfungssyndroms vier Wochen in einer psychosomatischen Klinik. Die Ärzte dort stellten fest, dass nicht genügend Wirkstoff des Duloxetins in meinem Blut war und erhöhten die Dosis auf das Maximum: 120 mg. Hier vielleicht ein kleiner Exkurs: Medikamente, die wir aufnehmen, gelangen über den Verdauungstrakt in den Blutstrom und so in die Leber. Dort werden sie von der Leber gefiltert. Das bedeutet, dass von einem Medikament mit beispielsweise 90 mg Wirkstoff einiges in der Leber hängen bleibt und nicht die volle Menge dort ankommt, wo sie wirken soll. Meine Leber hat ihren Job beim Duloxetin wohl sehr gut erledigt. In den folgenden Jahren ging ein ewiges Hin und Her zwischen den Dosierungen los. Unter 60 mg schaffte ich es aber nie. Meist wurden dann die Angstgefühle und Panikattacken viel zu stark. Der letzte Ausschleichversuch im November 2017 endete mit so heftigen Absetzsymptomen, dass meine ohnehin angeschlagene Psyche nicht mitmachte und ich im Januar 2018 wieder für vier Wochen in die Klinik musste. Die Dosis wurde auf 90 mg erhöht - und blieb so bis gestern.
Es gibt im Internet viele Berichte über Probleme bei dem Versuch, Antidepressiva abzusetzen. Dennoch denke ich, dass sich wiederum nur die zu Wort melden, die wirklich Schwierigkeiten beim Ausschleichen hatten. Und das sind in der Gesamtheit immer noch wenige. Es ist unbestritten , dass sich Absetzsymptome zeigen können. Bei dem einen sind sie heftiger als bei der anderen. Bei den überwiegenden Patienten und Patientinnen halten sich diese Absetzsymptome aber in einem unproblematischen Rahmen und verschwinden nach einiger Zeit. Dass es bei mir damals schiefgegangen ist, könnte auch an einem anderen Medikament bzw. meiner Schilddrüse gelegen haben. Die Symptome waren jedenfalls ähnlich: Schwitzen, Herzrasen, Kribbeln, Unruhe. Damals hatte ich auch nicht den Mut und die Kraft, eine Phase mit stärkerem Unwohlsein als sonst und nervigen Symptomen zu überstehen.
Vielleicht war genau das entscheidend: Es war der falsche Zeitpunkt und ich wollte ein Absetzen erzwingen - gegen den Rat meines Psychiaters. Ich hatte damals starke Migräneanfälle und in meiner Verzweiflung schob ich es auf das Duloxetin. Der Psychiater lies sich also auf das Experiment ein, obwohl er skeptisch war. Und eigentlich wusste ich schon damals, dass meine Migräne eher von Stress und Anspannung kommt, als von Medikamenten. Denn Migräne hatte ich schon, bevor ich Duloxetin genommen habe.
Nun bin ich wieder mehr als ein Jahr weiter. Im letzten Jahr habe ich für mich unglaubliche Fortschritte bei der Bewältigung meiner Angststörung und den Panikattacken gemacht. Gerade die Psychotherapie zeigt einen Erfolg nach dem anderen: Ich stehe für mich und meine Bedürfnisse ein, achte auf die Dinge, die mir helfen im Gleichgewicht zu bleiben und empfinde es nicht mehr als Makel, nicht mehr 200 Prozent perfekt zu sein (90 Prozent reichen volkommen!). Es sind mal größere, mal kleinere Erfolge - und es gibt auch hin und wieder Rückschläge. Aber tatsächlich gehe ich heute anders mit solchen Rückschlägen und problematischen Lebenssituationen um. Therapeutin, Psychiater - und vor allem ich sind uns einig und sicher, dass nun ein guter Zeitpunkt ist, das Duloxetin auszuschleichen. Beide haben mich gut beraten und ermutigt. Solltet ihr auch Anitdpressiva nehmen, setzt sie bitte nur ab, wenn ihr euch mit eurem Arzt oder eurer Ärztin darüber ausgetauscht habt und zu einem gemeinsamen Schluss gekommen seid.
Ich habe diesmal keine Sorge vor irgendwelchen Absetzerscheinungen. Es wird sie vielleicht geben.Vielleicht aber auch nicht. Und da ich mittlerweile aufkommende Panikattacken in den Griff bekomme und aushalten kann, werde ich wohl auch diese möglichen "Entzugserscheinungen" vorübergehend aushalten. Ich bin jedenfalls gespannt und freue mich sehr, heute den ersten Schritt gemacht zu haben: von 90 auf 75mg. Es fühl sich gut und stimmig an. So wird es nun langsam Schritt für Schritt weitergehen, bis ich das Medikament im Juni komplett absetzen kann.
Worauf ich mich am meisten freue? Nun, außer, dass es wohl ein Zeichen ist, dass es mir besser geht, freue ich mich vor allem darauf, die wenigen, aber lästigen Nebenwirkungen (übermäßiges Schwitzen, Gewichtszunahme, aufgeschwemmtes Gesicht) los zu werden. Drückt mir die Daumen, dass es klappt...
Vielleicht mögt ihr eure Erfahrungen mit dem Absetzen von Duloxetin oder anderen Antidepressiva mit mir teilen. Ich freue mich auf eure Kommentare!
Herzlich
Kerstin
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Jessica (Samstag, 09 Mai 2020 22:22)
Von Herzen viel Glück