Noch ein Blog über Angst?

Tatsächlich habe ich mich das sehr lange gefragt: Braucht das Internet - und die Welt da draußen - noch einen Blog über psychische Erkrankungen? Und meine Antwort lautet klar: Ja! Warum? Nun, dafür gibt es gleich mehrere Gründe:

 

  1. Informieren und Gesicht zeigen:
    Laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Gesund in Deutschland, 2015, Robert-Koch-Institut) leiden mehr als
    15 Prozent der Erwachsenen in Deutschland - also circa jeder sechste - unter einer Angststörung. Innerhalb der Gruppe der psychischen Erkrankungen nimmt die Angststörung damit den ersten Platz ein, gefolgt von der Depression. Psychische Störungen sind ein individuelles Schicksal, das mehr und mehr auch zum gesamtgesellschaftlichen Thema geworden ist. Dennoch sind Angststörungen oder Depressionen - wie andere psychische Erkrankungen auch - immer noch mit einem großen Stigma belegt. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa nur die Hälfte der Betroffenen, denen eine Therapie helfen könnte, diese in Anspruch nehmen. Viele Betroffene schämen sich sehr für ihr seelisches Problem und fühlen sich minderwertig. Nehmen sie dennoch all ihren Mut zusammen und sprechen ihre Erkrankung an, stoßen sie in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld oft auf Unbeholfenheit oder Unverständnis.
    Vorurteile wie "Drückeberger" oder der Makel ein "Psycho" zu sein, habe ich immer am meisten gefürchtet und sogar zu hören bekommen - gerade im beruflichen Umfeld. Um diesem Stigma etwas entgegenzusetzen, hilft meiner Ansicht nach nur Gesicht zeigen und informieren. Also: Reden, reden, reden - oder in diesem Fall: Schreiben, schreiben, schreiben.

    Menschen, die an einer Angststörung leiden, leiden sehr oft im Stillen. Mit wie viel Verständnis können sie auch schon rechnen, wenn sie beispielsweise an einer sozialen Phobie leiden und Angst haben, vor anderen zu essen? Sie wissen ja grundsätzlich selber, dass das irrational ist. Wie soll dann erst das Umfeld auf diese Störung reagieren?
    Oder mit wie viel Verständnis kann jemand rechnen, der unter einer Panikstörung leidet und aus heiterem Himmel von der Panik überfallen wird, ohne dass es einen für Außenstehende nachvollziehbaren Grund gibt? Ist jemand einer brenzligen Situation im Straßenverkehr entkommen und hat deshalb Panik empfunden, so kann derjenige über diese Situation berichten. Sie ist für andere vermutlich nachvollziehbar und eventuell hat der ein oder andere selbst Ähnliches erlebt. Der Betroffene kann sogar mit Mitgefühl rechnen. Aber Panik ohne Grund?

    Je nach Angststörung sind Betroffene Meister im Tarnen und Verbergen. Leider macht das die Sache für die Betroffenen nicht besser. Es entsteht oftmals ein Teufelskreis: Die Angststörung tritt irgendwann auf, wächst weiter an, es dauert bis zur Diagnose oder bis sich die Betroffenen überhaupt Hilfe suchen. Nach Außen versuchen sie tapfer weiter zu funktionieren. Letztlich kämpfen die Betroffenen an mehreren Fronten: Gegen die Angst an sich. Gegen das Zusammenbrechen ihrer Fassade nach Außen. Gegen Konzentrationsstörungen und Leistungsabfall. Sie sind folglich irgendwann erschöpft und entkräftet, was wiederum die Angststörung befeuert. Wenn es ganz schlecht läuft, gesellt sich noch eine Depression hinzu...

    Mein Wunsch und meine Hoffnung ist, dass wir in naher Zukunft selbstverständlich über psychische Erkrankungen reden können. So, wie wir beispielsweise über Diabetes, einen Bandscheibenvorfall oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen reden. Diese Erkrankungen haben sich die Betroffenen auch nicht freiwillig ausgesucht. Möglicherweise haben sie sie etwas befördert, weil sie zu wenig auf sich geachtet haben. Und genau so verhält es sich auch mit Angststörungen oder Depressionen: Die Betroffenen haben sich ihre Erkrankung ebenfalls nicht ausgesucht. Und oftmals ist die Krankheit deshalb ausgebrochen, weil sie zu wenig auf sich geachtet haben.

    Zum Glück, so ist jedenfalls mein Empfinden, hat sich in der letzten Zeit in diesem Punkt, dank ganz vieler engagierter und/oder auch prominenter Menschen, schon einiges getan. Ich möchte wenigstens einen kleine Teil dazu beitragen.
  2. Mit diesen Seiten möchte ich außerdem dazu beitragen, dass sich Betroffene und/oder Angehörige einen Überblick über die Erkrankungen und die Therapiemöglichkeiten verschaffen können - und das so differenziert, sachlich und umfassend, wie es mir möglich ist. 

    Ich werde auf diesen Seiten nichts verkaufen. Auch, wenn ich seit einigen Jahren mit einer Angststörung lebe und viel ausprobiert habe, kenne ich keinen allgemein gültigen Königsweg, sie zu bewältigen. Die Schulmedizin hat erprobte und wissenschaftlich belegte Therapien, die schon vielen Betroffenen geholfen haben und Standard sind. Auch die Naturheilkunde liefert gute Ansätze und manch einem hilft die Spiritualität oder ein anderes alternatives Verfahren. Letztlich hat mir ein Mix aus verschiedenen Dingen geholfen - und vor allem ermutigende, motivierende Behandler und ein eben solches Umfeld. Der Weg aus einer Angststörung ist fast genauso individuell wie ihre Entstehung.

    Skeptisch bin ich hingegen bei absoluten, pauschalen und nicht näher begründeten Aussagen, wie ich sie in manchem Ratgeber gefunden habe. So etwa, dass
    - Gruppentherapie ungeeignet sei, weil zuviel Konfrontation mit den Ängsten und dem Leid anderer stattfinde oder
    - eine tiefenpsychologisch orientierte Langzeittherapie den Betroffenen nur unnötig lange leiden ließe oder
    - Medikamente  - also Psychopharmaka - seien ohnehin ungeeignet.

    Dazu Folgendes: Viele lernen in der Gruppentherapie erst, ihre Ängste auszudrücken und es stärkt sie zu wissen, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind. Vermutlich ist eine tiefenpsychologische Langzeittherapie bei einer Spinnenphobie nicht erforderlich und eine kürzere Verhaltenstherapie erfolgreicher. Bei einer generalisierten Angststörung kann das wiederum ganz anders aussehen. Manch einer kommt ohne Medikamente klar, anderen retten sie wiederum das Leben und versetzen den Betroffenen überhaupt erst in die Lage, sich den Ursachen seiner Erkrankung zu stellen. 

    Auch das Versprechen mancher Methode, die zudem als die einzig wegweisende angepriesen wird, in sechs oder sieben Wochen frei von Angst zu sein, halte ich nicht für hilfreich. Es schürt gegebenenfalls zu hohe Erwartungen und kann im schlimmsten Fall zu noch mehr Frustration und Minderwertigkeitsgefühlen führen. Die ohnehin schon gedrückte Stimmung des Erkrankten sinkt noch tiefer. Für mich klangen solche Aussagen immer wie ein Backrezept, an das man sich ganz strickt zu halten hat: Wehe eine Zutat fehlt oder wird in der falschen Menge in den Teig gegeben!
    Dann wird das mit dem Kuchen nix - und mit der Angstfreiheit schon mal gar nix!

    Der Angst wieder ihren eigentlichen Platz zuzuweisen, hat für mich eher etwas von einem Kochrezept: Nimm die Grundzutaten und kreiere dann mit Gewürzen oder weiteren Zutaten dein eigenes Gericht, das dennoch gelingt und schmeckt. 

    Selbstverständlich gilt der Grundsatz "Wer heilt hat recht", denn: Was anderen hilft, muss mir nicht unbedingt helfen. Das stelle ich überhaupt nicht in Frage. Gerade deshalb finde ich es so wichtig, sachlich und umfassend über eine Erkrankung wie die Angststörung mit ihren unterschiedlichen Formen und Ausprägungen zu informieren und differenziert verschiedene Therapieansätze zu beleuchten und deren Vor- und Nachteile abzuwägen. 

    Ganz am Rande bemerkt finde ich auch die Formulierung "frei von Angst" nicht hilfreich. Deshalb ist die Überschrift dieses Blogs auch "Leben mit der Angst". Jeder, der unter einer Angststörung leidet, wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich frei von der Angst zu sein. "Frei von der Angst" meint in diesem Fall aber "frei von der Angststörung" und den Angst- oder Panikattacken zu sein. Die Angst als natürliche und schützende Reaktion los werden zu wollen, scheint mir nicht gerade sinnvoll. Frei von Freude wollte ich schließlich auch nicht sein.
    Aber ich sehe auch ein, dass beispielsweise ein Titel wie "Frei von Angststörungen in sechs oder zwölf Monaten" für einen Ratgeber nicht ganz so verkaufsfördernd ist. Aber immerhin wäre er etwas ehrlicher...
  3. Vor allem im Blog werde ich meinen Umgang mit der Angststörung und ihre Hintergründe beschreiben und meine Erfahrungen teilen, damit so eine Art "von einander lernen" entstehen kann. Und vielleicht kann ich den ein oder die andere ermutigen, seinen/ihren eigenen Weg aus der Angststörung Schritt für Schritt zu finden und nicht aufzugeben. 

  4. Humor war und ist für mich ein guter Helfer und sogar Heiler. Und zuweilen brauche ich auch ein gewisse Distanzierung von meiner Angststörung. Beides kommt mir oft zu kurz oder scheint für den ein oder anderen sogar widersprüchlich zu sein. Das finde ich ganz und gar nicht. Deshalb versuche ich in diese Seiten - und das Thema - auch etwas Leichtigkeit zu bringen und hoffe, dass es hilft. Wundert euch also bitte nicht, wenn ich in dem ein oder anderen Text mit meiner Angst rede (sie kann ein wahrer Tyrann sein, aber auch eine hilfreiche Beschützerin ;-). Übrigens: Ich sprach schon mit meiner Angst, bevor ich das Buch von Franziska Seyboldt "Rattatatam, mein Herz" gelesen habe...). Oder wenn ich die Texte durch Zeichnungen ergänze.
    Dabei zur Seite steht mir der kleine Frosch Fridolin, der eines Tages in mein Leben hüpfte. Er ist ein mutiger, fröhlicher, hilfreicher und sehr mitfühlender kleiner Kerl, den ich einfach in mein Herz schließen musste. 

 

Das war es für den ersten Text. Ich gebe zu, dass ich etwas aufgeregt und auch stolz bin, nach viermonatiger Vorbereitungszeit jetzt an den Start zu gehen. Einige Bereiche der Seite sind noch nicht ganz fertig und ich werde sie Schritt für Schritt ergänzen und wachsen lassen. Ein herzliches Dankeschön an all die, die mich in dieser intensiven Zeit begleitet und unterstützt haben. Die testweise gelesen und mit mir diskutiert haben und die meine Zweifel und Unsicherheiten ausgehalten und mich bestärkt haben. 

 

 

Jetzt wünsche ich euch viele hilfreiche Hinweise und Erkenntnisse beim Lesen und Stöbern und hoffe, dass euch diese Seiten etwas ermutigen können - und vielleicht sogar an mancher Stelle ein wenig schmunzeln lassen. 

 

 

Wenn ihr Anregungen und Anmerkungen habt, freue ich mich sehr über eure Kommentare. Wichtig ist mir, dass Kommentierungen respektvoll geschehen. Wer sich kritisch äußern möchte, kann das sehr gerne tun! Durch Kritik lerne ich. Und wenn sie angemessen geäußert wird, nehme ich sie nochmal so gerne an. Kommentierungen, die respektlos, beleidigend oder in irgendeiner Form diskriminierend sein sollten, behalte ich mir vor zu löschen.    

Kommentar schreiben

Kommentare: 0